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Sechs Kurze Geschichten

ModernLib.Net / Eschbach Andreas / Sechs Kurze Geschichten - ×òåíèå (ñòð. 3)
Àâòîð: Eschbach Andreas
Æàíð:

 

 


      Bran blieb liegen, bis er glauben konnte, da? es vorbei war. Als die Schreie sich verloren, hob er den Kopf aus dem kalten Schlamm, aber er konnte sich nur auf den R?cken drehen, so sehr zitterte er noch. Seine Hand bekam den Dornenstock zu greifen, und ein w?tendes, hilfloses Schluchzen drang wie von selbst aus ihm heraus. Nutzlos. Es gab keine Waffen, keinen Schutz.
      Wenn Opferzeit war, mu?te Blut flie?en, so war es. Wenn sie nachts keine Beute fanden, kamen sie bei Tage. Wenn sie auf den Feldern und in den Gassen niemanden kriegen konnten, drangen sie in die H?user ein. Wenn die Vampire hungrig waren, dann mu?te ein Mensch sterben.
      Und heute nacht war die Reihe an Livet gewesen. Bran stemmte sich elend hoch. Gellende Schreie hallten von den Bergen wieder, weit entfernt. Jetzt waren sie im Blutrausch. Er mu?te machen, da? er das Dorf erreichte. Heute nacht w?rden sie jeden nehmen, den sie kriegen konnten, ob sie noch hungrig waren oder nicht.
      Aber er war genug gerannt heute nacht. Seine Schenkel brannten vor Ersch?pfung, und der kalte Wind, der den Schnee von den Bergen herabtrug, fror ihm das Leben aus dem Leib.
      Einfach vorn?berkippen, liegenbleiben, selbst zur Beute werden. Es endlich ?berstanden haben. Nur die F??e waren nicht einverstanden, trugen ihn weiter, stapften durch aufgeweichte Gassen, fanden den Weg zum Versammlungshaus, und dort zogen ihn H?nde zur T?r herein, in dampfende W?rme.
      "Bran… er ist zur?ck… er lebt…" Gemurmel um ihn herum. Man setzte ihn an den Ofen, jemand reichte ihm eine Schale mit Br?he. Es war eine sehr d?nne Br?he. Dieses Jahr reichte es kaum zum Leben. Die Vampire hatten die Felder verw?stet wie selten zuvor.
      "Geht es dir besser?"
      Er nickte, w?rmte die H?nde an der Schale. Aber die Wahrheit war, da? er nicht wu?te, ob es ihm gut ging oder nicht. "Livet?"
      "Sie haben ihn geholt."
      Das Raunen trug Livets Namen weiter. Aus dem Raum der Frauen drang gleich drauf Wehklagen. Aber gleichzeitig war so etwas wie Aufatmen zu sp?ren – Hoffnung, da? die Vampire nun wieder einmal zufrieden sein w?rden f?r eine Weile.
      "Dies ist ein Abend der Wunder", rief pl?tzlich jemand. "Von dreien, die wir tot glaubten, sind zwei unversehrt zur?ckgekehrt!"
      "Ehre sei dem Herrn des Tages und der Nacht", murmelte ein Chor dumpfer M?nnerstimmen.
      Bran sah den Mann neben sich fragend an.
      "Siren ist zur?ckgekommen", erkl?rte der.
      "Siren? Aber wie kann das..?" Bran erinnerte sich, da? der junge Bursche vor zwei Monden verschwunden war. Nat?rlich hatte ihn jeder f?r tot gehalten. Es war unglaublich, da? er diese lange Zeit ohne den Schutz des Dorfes ?berstanden haben sollte.
      "Dort hinten sitzt er. Und erz?hlt Dinge, die nicht mal das d?mmste Kind glauben w?rde."
      "Ja? Was denn?"
      "Kannst ihm ja zuh?ren. Er h?rt gar nicht auf zu reden."
      Bran erhob sich m?hsam und mischte sich unter die M?nner, die einen Tisch umringten, an dem wahrhaftig Siren sa?, gesund und lebendig, und aufgeregt anredete gegen die Wand aus zweifelnden oder sp?ttisch grinsenden Gesichtern ringsum.
      "Stellt euch Wiesen vor, gr?n und saftig, soweit der Blick geht. Stellt euch Felder vor, jedes so gro? wie unser ganzes Dorf, die herrlich bl?hen. Stellt euch B?ume vor, Hunderte davon, die voller s??er Fr?chte h?ngen…"
      "M?rchenland!" warf jemand ein.
      "Die Menschen dort", rief ihm Siren entgegen, "wissen nicht einmal, was Vampire sind. Sie versammeln sich nachts unter freiem Himmel und feiern, z?nden gro?e Feuer an, um die herum sie fr?hlich tanzen, lachen, singen, essen und trinken. Sie haben keine Angst vor der Nacht – sie lieben sie geradezu!"
      "Geschichten erz?hlen konntest du schon immer, Siren", meinte einer und erntete zustimmendes Gel?chter.
      "Ich habe das alles gesehen!" erregte sich Siren. "Ich habe das alles gesehen, mit diesen Augen! Mit diesen H?nden habe ich reife Fr?chte von B?umen gepfl?ckt, ganze K?rbe voll. Mit diesen Beinen bin ich durch Felder gegangen, deren Korn mir bis zur H?fte reichte -"
      "Wo ist dieses Land?" fragte Bran.
      Siren sah ihn an. "Ich sagte es doch schon – jenseits der Berge. Ich habe einen Weg ?ber die Berge gefunden. Und ich sage euch, auf der anderen Seite liegt ein Land, das unvorstellbar sch?n und reich ist; ein Land, in dem es keine Vampire gibt!" Er hob hilflos die H?nde. "Warum versteht mich denn keiner? Sehe ich so aus, als sei ich verr?ckt geworden? Ich h?tte dort bleiben k?nnen. Ich h?tte nicht zur?ckzukommen brauchen, um euch davon zu berichten. Ich h?tte nicht riskieren m?ssen, da? die Vampire mich doch noch erwischen. Ich h?tte einfach bleiben k?nnen. Ihr glaubt mir nicht, sch?n – aber ihr braucht mir nicht zu glauben! Ihr k?nnt einfach mit mir kommen, und ich zeige euch den Weg, den ich gegangen bin. Wir brauchen nicht hierzubleiben, versteht ihr? Wir brauchen uns nicht sinnlos den Vampiren zu opfern. Wir k?nnen einfach fortgehen in ein besseres Land."
      "Vielleicht", warf eine bed?chtige, Ehrfurcht gebietende Stimme ein, "hat das alles seinen guten Grund." Der Spott und das Gel?chter erstarben. Die M?nner wichen respektvoll beiseite, um den alten Gurot durchzulassen. Man machte ihm Platz, damit er sich an den Tisch setzen konnte, Siren gegen?ber.
      Gespannte Stille herrschte pl?tzlich. Gurot legte die Heilige Schrift vor sich hin, rieb sich die Reste der Opferkr?uter von den Fingerspitzen und musterte den jungen Siren aufmerksam, der unter diesen Blicken kleiner zu werden schien. Langsam sagte er: "Ich m?chte dir zun?chst sagen, Siren, da? ich mich freue, da? du noch am Leben bist, und da? ich dich begl?ckw?nsche."
      "Danke", sagte Siren tonlos.
      "Man hat mir von deinen Erz?hlungen berichtet, w?hrend ich das Huldigungsopfer darbrachte", fuhr der Alte bed?chtig fort, "und ich denke, ehe du dich immer wieder und wieder wiederholst, sollten wir alles einmal gr?ndlich bedenken und von allen Seiten betrachten."
      Siren sagte nichts.
      "Du bist der ?berzeugung, da? du uns etwas von enormer Wichtigkeit mitzuteilen hast; hat man mir das richtig ?berbracht?"
      "Ja." "Und du wunderst dich, da? deine Schilderungen hier auf, sagen wir einmal, Skepsis sto?en. Sehe ich das recht?" "Genau."
      Gurot faltete die H?nde in einer Geste der Nachdenklichkeit. "Nun, Siren, ich m?chte, da? du dich einmal in die Lage dieser Leute hier versetzt. Du bist noch sehr jung, gerade mannbar geworden, in dir brennt noch die Hitze der Jugend und ihre Phantasie. ?berdies wei?t du selbst, da? du nicht gerade das warst, was man ein wohlerzogenes Kind nennt; du erinnerst dich sicher selber am besten an manche Streiche, L?gen und andere Vorf?lle, die man beim besten Willen nicht als Zeichen ?berm??iger Zuverl?ssigkeit verstehen kann. Versteh mich recht, ich verurteile damit weder dich noch das, was du sagst, ich m?chte im Gegenteil alles gr?ndlich bedenken, aber ich m?chte zun?chst, da? du mir sagst, ob ich gerade etwas Unwahres ?ber dich erz?hlt habe."
      "Nein", gestand Siren, "aber…"
      Gurot hob eine Hand, um ihn zu unterbrechen. "Ferner m?chte ich wissen, ob du dir vorstellen kannst, da? einige der hier Anwesenden einfach aufgrund deiner Jugend und der Erinnerungen an deine Kinderstreiche voreingenommen gegen dich sind. Kannst du dir das vorstellen?"
      "Ja."
      "Gut. Aber wie gesagt, wir wollen alles gr?ndlich bedenken, unabh?ngig von all diesem." Der alte Mann legte seine Hand auf das Buch vor ihm. "Du wei?t, da? ich mich eingehend mit den alten Schriften und ?berlieferungen befa?t habe. Danach zu urteilen, hat es immer diese zwei Seiten gegeben: auf der einen Seite wir, die Menschen – auf der anderen Seite sie, die Vampire. Man kann nat?rlich fragen, warum. Und viele alte Schriften tun das auch. Meistens fragen sie gleichzeitig nach Gott, nach dem Sch?pfer aller Dinge, und nach der Rolle, die wir oder die Vampire im Sch?pfungsplan spielen. Die unangenehmste Antwort ist meist die, da? wir Menschen vielleicht einfach nur als Futter f?r die Vampire dienen sollen. Das gef?llt uns nicht. Mir gef?llt das auch nicht, ebensowenig wie dir, aber andererseits k?nnen wir unser Gefallen oder Mi?fallen nicht zum Ma?stab aller Dinge machen, nicht wahr? Etwas ist so, wie es ist, unabh?ngig davon, ob es mir gef?llt oder nicht. Eine andere Erkl?rung, die immer wieder gefunden wird, ist, da? es einfach immer ein Gleichgewicht geben mu? zwischen der Zahl der Menschen und der Zahl der Vampire. Wenn es viele Menschen gibt, steigt die Zahl der Vampire, und diese dezimieren wieder die Anzahl der Menschen. Gibt es umgekehrt zu wenig Menschen, verhungern viele Vampire, und die Menschen k?nnen sich wieder vermehren. Ohne die Vampire, hei?t das, w?rden wir Menschen uns schrankenlos, ins Unerme?liche vermehren." Gurot spreizte die Finger. "Aber, wie gesagt, das ist auch nur ein Erkl?rungsversuch, der uns nicht zu gefallen braucht. Was man mit Sicherheit sagen kann, ist, da? wir nicht wissen, wozu Vampire da sind. Wir wissen aber auch nicht, wozu der Tag da ist oder die Nacht. Wir wissen nicht einmal, wozu wir selber da sind, oder wozu es so etwas wie Leben ?berhaupt gibt. Letztlich ist alles ein Mysterium. Alles ist einfach so, wie es ist."
      Gurot sah in die Runde, in andachtsvoll lauschende Gesichter. "Ich mu? wohl nicht erw?hnen, da? in den alten Schriften nirgends, nicht an einer einzigen Stelle, die Rede davon ist, da? es jenseits der Berge so etwas wie ein gesegnetes Land geben k?nnte. In den ?berlieferungen existiert nicht der geringste Hinweis auf ein Land, wo keine Vampire, sondern nur gl?ckliche Menschen leben. Allerdings sprechen die Schriften von einem gelobten Land, aber um dorthin zu gelangen, mu? man ein gottgef?lliges Leben im Diesseits f?hren, ein Leben der Arbeit, der Entsagungen und der Pr?fungen. Das ist nat?rlich anstrengend und unangenehm. Da? man dieses gelobte Land auch anders, n?mlich durch einen einfachen Fu?marsch erreichen k?nne – das hat noch nie jemand behauptet. Noch nie bis heute abend. Bis du kamst, Siren. Sag mir eines: findest du das nicht selber merkw?rdig?"
      "Vielleicht ist vor mir noch nie jemand zur?ckgekehrt von dort?"
      "Ah ja?" Gurot hob die Augenbrauen. "Aber jetzt bist ja du da, nicht wahr? Jetzt wird alles anders. Die heiligen Schriften, die alten B?cher, das k?nnen wir alles bedenkenlos verbrennen, denn du bringst uns ja die Wahrheit. Unsere zahllosen Toten k?nnen wir vergessen, denn sie sind ja ganz sinnlos gestorben. Denn ein Zeitalter geht zu Ende heute abend, nicht wahr, und ein neues beginnt. Sollen wir es das Zeitalter des Siren nennen?" Seine Stimme war schneidend scharf geworden.
      Siren schaute hilflos drein. "Ich kann euch nur sagen, da? ich…"
      "Ganz zweifellos glaubst du, was du sagst, Siren", nickte Gurot. "Ich glaube dir. Wirklich. Ich bin der festen ?berzeugung, da? du wirklich glaubst, jenseits der Berge liege die Erl?sung."
      "Ja?"
      "Ja, sicher. Siehst du, Siren, mir geht es so, da? ich das gerne auch glauben w?rde. Wirklich, mein Herz brennt danach, dir zu glauben. Aber mein Kopf…" Er lehnte sich zur?ck und l?chelte wehm?tig. "Mein Kopf kennt mittlerweile die Schliche des Herzens. Das Herz glaubt, was es sich w?nscht. H?re mir nun gut zu, Siren, und versuche von meiner Lebenserfahrung zu profitieren. Ich will dich nicht verurteilen. Ich m?chte dir nur erkl?ren, was in dir vorgeht. Man glaubt das, von dem man sich w?nscht, es w?re so. Und es ist immer das Herz, das sich etwas w?nscht. Es ist auch das Herz, das Angst hat. Und wenn das Herz in Aufruhr ger?t, dann denkt der Kopf nicht mehr klar, dann ger?t er in Fieber und verstrickt sich in die unglaublichsten Hirngespinste. Wer von uns hat das noch nicht erlebt? Man verliebt sich in ein M?dchen – und schon gewinnt man aus der kleinsten Freundlichkeit, die sie einem erweist – und ebenso leicht aus jeder Unfreundlichkeit – die unumst??liche Gewi?heit, da? sie unsere Liebe insgeheim erwidert. Sagt, erinnere ich mich da richtig?"
      Die M?nner lachten.
      "Versuche dich zu erinnern, was in dir vorgegangen ist, Siren. Ich wei? es nicht, du allein wei?t es. Du hast vielleicht ?berlegt, was f?r ein erb?rmliches Leben das ist, das da auf dich wartet: Ein Leben, in dem es hei?t, einem kargen, felsigen Boden Nahrung abzutrotzen, und dabei st?ndig Angst haben zu m?ssen vor den Vampiren. Du wei?t nicht, ob du einmal so alt wirst wie ich, oder ob du morgen schon stirbst. Es ist unangenehm, ?ber all das nachzudenken. Und vielleicht hast du dich in eine Phantasie gefl?chtet. Doch solange man noch wei?, da? es nur eine Phantasie ist, kann sie einen nicht tr?sten, vergeht die Angst nicht. Es mu? zur Gewi?heit werden. Du steigerst dich hinein, du glaubst fest daran, zweifelst nicht mehr an der Realit?t dessen, was du glaubst – aber unter der Oberfl?che bleibt ein leiser Zweifel. Dieser heimliche Zweifel ist es, der dich antreibt, andere ?berzeugen zu wollen. Dein Kopf ist in Phantasien verstrickt, und er will die Best?tigung anderer: wenn andere dir zustimmen, dir sagen, da? du recht hast, dann kannst du es besser glauben, als wenn du allein bleibst damit…"
      "Es ist genug, alter Mann!" rief Siren w?tend und sprang auf. Becher fielen um. Jeder hielt den Atem an. Noch nie hatte jemand gewagt, Gurot derart zu unterbrechen. "Du versuchst mit tausend klugen Worten die Wahrheit hinwegzuerkl?ren, nichts weiter. Bleib von mir aus bei deinen staubigen alten B?chern, wenn sie dir mehr bedeuten als dein Leben! Ich sage euch nur, ich bin dortgewesen, im gelobten Land, und morgen fr?h werde ich wieder dorthin zur?ckgehen, und wer von euch will, der kann mit mir kommen."
      Ein Raunen ging durch die Reihen. Siren kam hinter dem Tisch vor und sah sich um in den Gesichtern. "Nun? Was ist?"
      Niemand sagte etwas. Ein paar M?nner wandten sich ab.
      "Es scheint nicht so leicht zu sein, ein neues Zeitalter einzul?uten, wie?" lie? sich Gurot sp?ttisch vernehmen.
      "Was war ich f?r ein Narr, noch einmal zur?ckzukehren!" rief Siren aus. "Ihr sagt, ich sei verr?ckt? Ich war es, da? ich mein Leben noch einmal aufs Spiel gesetzt habe!"
      "Ich komme mit", sagte Bran leise.
      "Siren!" rief jemand aus dem Hintergrund des Raums. "Du hast so sch?nes Lockenhaar – du solltest zu den Frauen hin?bergehen, die kannst du sicher leichter verf?hren!" Alle lachten.
      "Wenigstens einer", sagte Siren zu Bran. "Dann hat es sich doch gelohnt."
      Am n?chsten Morgen bei Sonnenaufgang, als alle anderen noch schliefen, verlie?en Siren, Bran und drei Frauen das Dorf und kehrten nie mehr wieder.
      © 1999
 

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